Auszug aus dem 1. Roman

Liebe Leser,

 

langsam geht es wieder voran - langsam - um euch allerdings die Zeit bis zum Erscheinen der Fortsetzung etwas zu verkürzen, aber auch um noch mehr Menschen für Tom Kersto und seine Bücher zu begeistern, möchte ich mit einem Auszug aus dem Roman Nur einen Flügelschlag entfernt diese Blogreihe starten.

 

Euer Tom Kersto

 

Es handelt sich um den Anfang des 5. Kapitels, Seite 212-216:

 

In Zeiten wie diesen, da sich die Erde im Umbruch befindet, sich Krisen und Katastrophen die Klinke in die Hand geben und abwechselnd den blauen Planeten heimsuchen, sich Menschen unterschiedlicher Herkunft und Glaubensgemeinschaften bekriegen, ist es für diejenigen, die noch jung an Lebenserfahrung sind, bedeutend schwieriger geworden, ein positives Bild der Zukunft zu zeichnen. Die Absicht, Kinder in diese unsere Welt setzen zu wollen, wird bereits als Verantwortungslosigkeit verpönt und damit abgetan, dass der Mensch sich diese Freude nicht mehr leisten kann. Der Unmut der Bevölkerung kennt verbal keine Grenzen, schwächelt jedoch bei dessen schriftlicher, oder besser gesagt, ankreuzender Ausführung.

 

Die Schlacht gewinnen jene, die am lautesten brüllen; jene, die wochenlang medienpräsent sind und die Bevölkerung mit ihren Konterfeis beglücken; jene, die Aussagen ihrer Mitstreiter so verunglimpfen oder umkonstruieren, dass jene Bürger, die wahlberechtigt und somit dazu auserkoren sind, die Zukunft des Landes mitzugestalten, ihre eigene Intelligenz untergraben und stattdessen zu Gefolgsleuten werden. Sie sehnen sich nach einem Führer, der ihnen die wichtigen Entscheidungen und dadurch auch die schwerwiegenden Konsequenzen des Scheiterns derselben abnimmt. Die negative Grundeinstellung zum Leben und zum Weltgeschehen war vor einem Jahrzehnt noch den Alten überlassen. Sie hatten schließlich echte Gräueltaten erlebt und mussten das Land mehr als nur einmal von Grund auf neu errichten. Sie mussten sich ihr Leben hart erkämpfen, lösten jedoch im Gegensatz zu heute ihre Aufgaben mit Bravour. Familien mit sechs Kindern oder mehr gehörten zum Alltagsbild.

 

Dass es hart war, kann man ihnen nicht abstreiten. Man weiß heute noch, dass es nicht einfach gewesen sein konnte. Schon garnicht, weil man sich heute ohne den gewohnten Komfort und technischen Fortschritt nichts mehr vorstellen kann. Noch vor wenigen Jahren wurden unsere Alten belächelt, wenn diese ihren Lieblingsausspruch an ihre Kinder und Enkel weitergaben. Es wurde ihnen erklärt, dass sich die Zeiten verändert haben und man Heute nicht mit Gestern vergleichen kann. Die Versuchung, eine überhebliche Attitüde anzunehmen, ist dem Menschen wohl schon seit Anbeginn seiner Existenz mit in die Wiege gelegt worden.

 

Dass es früher besser war als heute dürfte eine epochenübergreifende Erklärung oder Rechtfertigung der jeweiligen Generation sein. Zu Zeiten der Renaissance sagte man wahrscheinlich dasselbe über das Leben im Barock und sehr wahrscheinlich sehnten sich die Romantiker mehr nach Sturm und Drang als nach Gefühlsduseleien. Jener, der die Theaterstücke schreibt, die tagtäglich von den Menschen aufgeführt werden, ist wahrlich nicht zu beneiden. Keine andere Rasse ist so schwer zufrieden zu stellen wie die menschliche Spezies. Und wenn es nicht die falsche Zeit ist, in der der Einzelne aufwächst, dann ist es das Wetter oder das Schicksal, das es besonders schlimm mit einem meint.

 

Allerorts sieht man Menschen in der Vergangenheit leben. Man sieht vermeintlich Blinde, die die Augen vor der Gegenwart verschließen und sie fest geschlossen halten, um der Zukunft nicht begegnen zu müssen. Man hört Vogelgezwitscher in der Großstadt und wundert sich, wohin sich all der Lärm verzogen hat. Vielleicht war früher wirklich Einiges besser als heute. Heute, da man sich nicht mehr auf dem Tanzboden kennenlernt, sondern dank der weltweiten Vernetzung Bekanntschaften in der ganzen Welt hat – von Maschine zu Maschine – anonym Probleme besprechen oder sich virtuell ohne jegliches Risiko auf ein Schäferstündchen einlassen kann.

 

Geburtenrückgänge, Gewalt, die zu eskalieren droht, steigende Scheidungsraten, zunehmende Impotenz, erschreckend schnell wachsende Arbeitslosenraten, explodierende Verdummung der Jugend, zum Bersten gefüllte Frauenhäuser. Ein positives Bild der Zukunft zu zeichnen ist wahrlich kein Honiglecken – auch nicht, wenn man nur vor der eigenen Türe kehrt. Würde man die Landesgrenzen hinter sich lassen, sähe dieses Bild vermutlich noch bedrückender aus, als es bereits ist.

 

Wozu also noch leben? Warum noch all die Strapazen auf sich nehmen, um möglichst lange auf Erden verweilen zu dürfen? Die steigende Rate der Lebensaussteiger zeigt, mit welcher Ohnmacht sich die Menschheit konfrontiert sieht. Die Glaubensgemeinschaften verzeichnen Jahr für Jahr sinkende Mitgliederzahlen, ein Skandal jagt den anderen. Trotzig sitzt ein alter Mann in einem kleinen Land inmitten eines größeren Landes und zeigt mit dem Finger auf diejenigen, die es wagen, sich dem erfundenen Bild einer richtenden Gottheit zu widersetzen.

 

Jeder Glaubensverein hat seine eigene Gottheit kreiert, ähnlich einem Bildhauer, der eine Skulptur aus Stein haut und solange an ihr herum schnitzt, bis diese seiner Idealvorstellung entspricht. Wird diese Skulptur dann von einem Galeristen für eine Ausstellung auserwählt, so verliert sich der Künstler plötzlich in Regeln und Vorgaben, wie sein Werk präsentiert werden müsse, sodass er gänzlich auf die ursprüngliche, reine Absicht, die im Schaffen solch einer Skulptur steckt, vergisst und sich in ein Spinnennetz von Unverständnis, Kopfschütteln und Widerstand verfängt. Die kleinste Einheit dieser Glaubensvereine ist die Beziehung eines Menschen zu sich selbst und auch hier geht es wieder darum, an sich selbst zu glauben, sich selbst zu lieben, sich zu vertrauen und die reinsten Absichten zu leben.

 

Es geht darum, die Vertreter von Gut und Böse, die es sich auf den eigenen Schultern gemütlich gemacht haben, anzuhören und dann selbst zu entscheiden, welchen der beiden Wege man beschreiten möchte. Es wird immer diese zwei Wege geben, die sich plötzlich trennen. Es hat sie immer schon gegeben. Mozart, Picasso, Che Guevara, Martin Luther King, sogar Julius Cäsar und Konfuzius – sie alle mussten sich mehrmals während ihrer Leben entscheiden, welchen dieser beiden Wege sie gehen sollen.

 

Und sie alle haben sich dieselben Fragen gestellt wie wir, nämlich: »Was wäre passiert, hätte ich den anderen Weg gewählt?« Die Ungerechtigkeit an diesen beiden sehr unterschiedlichen Fragen ist, dass die erste Frage immer beantwortet werden muss – die Zweite jedoch niemals beantwortet werden kann.

 

Die Dualität allen Seins ist nicht immer nur offensichtlich erkennbar, sie funktioniert auch sehr oft im subtilen Wirrwarr unserer Gedanken, Träume und Fantasien. Die Zufälle, die wir tagtäglich als solche abschreiben, sind ebenso ein Ausdruck dieser Dualität wie »Tag und Nacht«, »Ein und Aus«, »Gut und Böse« es sind. Wie das System des Lebens funktioniert, hat die Menschheit dank ihrer Überheblichkeit noch nicht begriffen. Die Kanäle des Wissens öffnen sich zwar bereits, jedoch nur langsam, da der Widerstand doch noch sehr groß ist. Wissenschaftler auf der ganzen Welt versuchen schon seit jeher, mit ihren Formeln das Leben zu erklären. Ärzte vermitteln uns, sie wären Götter in weiß, die über Leben und Tod entscheiden können und der alte Mann des vorhin erwähnten kleinen Landes, fühlt sich als der erste Vertreter einer allumfassenden Macht, die als der Schöpfer von Himmel und Erde in unserem Bewusstsein verankert ist. Selbsternannte Gurus sagen uns, wie wir unser Leben zu leben haben, damit wir nicht im Fegefeuer landen.

 

Herr Otto Normalverbraucher, der während seiner Erwerbstätigkeit knapp eine Million Euro verdienen wird, liest täglich in den Zeitungen, wie Milliarden von hier nach dort transferiert werden – wie Kredite in astronomischen Summen an bereits komplett verschuldete Länder vergeben werden, und wundert sich nicht einmal mehr, wie diese überhaupt jemals zurückbezahlt werden können. Es kommt ihm nicht einmal in den Sinn, dies mit sich selbst zu vergleichen, da er wohl oder übel seinem Leben an Ort und Stelle ein Ende setzen müsste, hätte er anteilsmäßig nur halb so viele Schulden. Er würde längst auf der Straße leben, sein ganzes Hab und Gut bis auf die letzte Garnitur Kleidung, die er am Leib trägt, verpfändet haben. Neben ihm würde eventuell ein anderer Bettler mit seiner Gitarre und einem leeren Hut sitzen. Die Menschen, die noch nicht von einem ähnlichen Schicksal ereilt worden wären, würden mit verächtlichem Blick an ihm vorbeigehen. Manchmal würde vielleicht jemand stehen bleiben oder ein Kind würde auf ihn zukommen und ihn anlächeln, bevor es von der Mutter gemaßregelt werden würde. Ein Lächeln, das für einen kurzen Augenblick die Sinnlosigkeit des Erwachens am nächsten Tag zurückdrängen würde, doch so schnell es gekommen war, wieder verschwunden sein würde, um erneut die Möglichkeit des Freitodes in den Raum zu stellen.